2017 WhyPlayJazz (RS037), CD + MP3 Album Download
Elia Rediger (vocals), Benjamin Weidekamp (woodwinds), Jerome Bugnon (trombone), Michael Haves (guitar, artificial singing, samples, Kazoo, keyboards) Spielvereinigung Sued: Simon Bodensieck, Johannes Moritz, Damian Dalla Torre, Henrik Baumgarten (woodwinds); Konrad Schreiter, Patrick Schanze, Vincent Hahn (trumpets); Ludwig Kociok, Julian Schließmeyer, Matthias Büttner (trombones); Florian Kästner (piano); Philipp Rohmer (bass); Philipp Scholz (drums); Special guests: Richard Koch (trompet), Uli Kempendorff (soprano saxophone, flute); Additional vocals: Antonia Bill, Almut Kühne, Lucy Railton, Raphael Jecker, Brigade Futur III; Chor: Dorothee Hübner, Dorothee Saar, Katja Reinecke, Almut Hilse, Christine Günther, Judith Herzog, Kristin Hartmann, Katharina Lange, Thomas Gorny, Richard Eichler, Florian Hauer, Jerome Queron, Konstantin Lang, Ralph von Roden
Recorded April 2017 at Funkhausstudio Berlin (Germany) by Jean Philipp Dusse (sound engineer) and Meike Alex (assistant). Produced by Brigade Futur III for WhyPlayJazz. Mixed by Micael Haves Christian at The Cop Shop (Berlin, Germany). Mastered by Martin Ruch at Control Room Berlin (Germany). Photos by Can Elbasi and Elia Rediger. Design and artwork by Michael Schultz and Brigade Futur III.
The Berlin-based collective Brigade Futur III hooks up with the eclectic Leipzig big band Spielvereinigung Sued to record an album the likes of which has never been heard in Germany. Finally, we once again have jazz in which everything seems possible. Innovative compositions and arrangements, vocals ranging from the operatic to rap, inspired instrumental solos – the combination makes for music that leaves no prisoners as it breaks through boundaries. And it’s murderous fun.
Sparen wir uns jeden Diskurs um die Relevanz des zeitgenössischen Jazz und kommen sofort zur Sache. Das Berliner Kollektiv Brigade Futur III legt hier gemeinsam mit der Spielvereinigung Sued ein Jazzalbum vor, wie es das in Deutschland so noch nicht gegeben hat.
Der in Berlin lebende Saxofonist Benjamin Weidekamp (Olaf Ton, Stereo Lisa) wurde von der Big Band Spielvereinigung Sued aus Leipzig zu einer Auftragskomposition eingeladen. Mit dem Songwriter und Produzenten Michael Haves, mit dem er kurz zuvor das Projekt Filter Bubble gründete, dem Seeed-Posaunist Jerome Bugnon und dem Schweizer Künstler und Sänger Elia Rediger formierte sich eine Art Powerbrigade, die ihre politischen Anliegen in Musik umsetzen wollte. Die Einladung der Spielvereinigung wurde im Viererverbund unter dem Namen Brigade Futur III angenommen.
Die vier apokalyptischen Bilderstürmer wollen handeln, jetzt, hier für morgen. „Alles wird gut gegangen sein werden, aber wie nur? Wie kann man für ein positives Zukunftsbild einstehen, dessen Voraussetzungen in der Zukunft erst geschaffen zu sein werden haben.“ Die Idee des Futur III war geboren.
Sie erinnerten sich an die Herren Brecht und Weill, welche maßgeblich das politische Kunstlied prägten. Wie würde es sich anhören, diese Idee ins Jahr 2017 zu transportieren? Wie kann man heute politische Musik machen, was sind unsere Angriffspunkte?
Jeder der vier Individualisten steht an einem anderen Punkt in seinem Leben, daher brachte jeder ganz eigene Ideen mit ein. Wie, was aber nicht warum. Das Leben war stärker als die Kunst. Das Leben war stärker als die Kunst. Eine Art Post Art, in der nicht nur alles möglich, sondern alles zwingend ist. Die Brigade Futur III als urbaner Stamm, der einen wahnwitzigen Kriegstanz auf den gentrifizierten Straßen und Plätzen der Hauptstadt aufführt. Brecht und Weill rasieren sich Iros, Kurt Schwitters tanzt Pas De Deux mit Max Raabe, A Tribe Called Quest wird zur Marschkapelle, Rage Against The Machine batteln sich mit Duke Ellington, Luigi Nono headbangt zu Sonic Youth, Charles Mingus verbarrikadiert sich mit K.I.Z., John Coltrane feiert die Auferstehung von J. Dilla.
Der Sound ist gnadenlos übersteuert, der Gesang taumelt zwischen snobistisch bis verzerrt. Die Texte sind provokant, doppelbödig, widersinnig, absurd, existenzialistisch und auf eine beiläufig eindringliche Art unmittelbar dem Leben abgelauscht. Oft muss man doppelt hören, um seinen Ohren zu trauen. Brigade Futur III trägt die Kunst zurück auf die Straße, in den Späti, auf den Spielplatz, in die Küche, auf den Balkon. Das Wendecover – John Hartfield und Jello Biafra lassen grüßen – symbolisiert den Sturm auf die Bastille unserer eigenen Trägheit.
Jazz, der endlich mal wieder alle angeht – und trotzdem oder gerade deswegen mal wieder mörderischen Spaß an sich selbst haben und machen darf. Keine Angst vor Klischees und Plattitüden. Geht nicht, gibt’s nicht, und gibt’s nicht, geht nicht. Free Jazz im ursprünglichsten Sinne des Wortes.
„Was ist schon braunes Gedankengut, wenn es so lecker schmecken tut?“ Sanft und zynisch, böse und verführerisch, so säuselt Elia Rediger, der stimmgewaltige Sänger vom Musikerkollektiv „Brigade Futur III“, seine giftigen Hymnen an Europa, den Neoliberalismus, das Smartphone oder den Genuss von brauner Schokolade ins Mikrofon. Die Musik wiegt uns gemütlich mit ein paar schlagerselig swingenden Walzertakten in Sicherheit, nur um unversehens mit wuchtig hämmernden Bläsercluster in aggressive schwere Grooves um- zuschlagen. Ein ausdrucksstarkes Solo aus Richard Kochs gestopfter Trompete entführt uns für Augenblicke in die Welt einer Duke-Ellington-Bigband, bevor die Klarinette von Benjamin Weidekamp mit mikrotonalen Brechungen und avancierten Klangeffekten den ganzen Orchesterapparat in die Gegenwart katapultiert. Nach drei Tagen intensiver Diskussionen und engagierter Vorträge, nach Performances und einem Kinofilm zeigen die Musiker der „Brigade Futur III“ und der „Spielvereinigung Sued“ in der Bessunger Knabenschule am Samstagabend ganz praktisch, wie das geht mit „Jazz und Politik“, dem Thema des 16. Darmstädter Jazzforums.
Unverkennbar zeigt Brigade Futur 3 politische Haltung, nicht nur in Songtexten und aus dem Off eingeflochtenen Zitaten. Klug vermeidet das Quartett alles Plakative und spielt stattdessen mit Assoziationen, Ironie und Überzeichnung.
Insgesamt zeigen Brigade Futur 3 und die Spielvereinigung Sued zum Abschluss des 16. Darmstädter Jazzforums eindrucksvoll, wie politischer Geist und zeitgenössischer Jazz sich zu einer grandiosen Einheit verschmelzen lassen.
Die Auseinandersetzungen mit dem «Raubtierkapitalismus» führten zur Erkenntnis, dass man sich selber ermahnen müsse. «Wir stellten fest, dass wir dazu Musik machen wollen.» Aber: «Man muss solche Themen mit Spass vermitteln», sagt Rediger. [...] Musikalisch hört sich die Brigade, die sich als offenes Kollektiv versteht, auf schön-spannende Weise irritierend und aufwühlend an. Rediger trumpft mit seinem herrlichen Bariton auf, pendelt mit der Band zwischen Jazz und Neuer (Pop-)Musik, zwischen Max Raabe und, ja, Frank Zappa. [...]
Gemeinsam präsentiert man eine Musik, die ganz in der Tradition eines Bert Brecht und Kurt Weill verweilt, weil die teils absurden Texte (auf Deutsch) durchweg auch einem politischen Anspruch folgen. Gleichzeitig transportiert diese Großformation das Erbe dieser beiden Altvorderen einer populär politischen Performance aus Deutschland ins Hier und Jetzt einer aktuellen Musik zwischen rockenden Grooves und crispen Beats aus dem digitalen Fundus, zwischen zupackend bärbeißigen, eloquent phrasierten Soloexkursionen und aussagemächtigen, kräftigen Tuttiklängen der Leipziger Bigband ironisch augenzwinkernd und mit dem sprichwörtlichen Schalk im Nacken eben.
Kraftvoll verspielte Musik ist das. Hier geht es um lustvolle Statements, um ein Werfen „mit Spatzen auf Kanonen“. Und um mehr. Die Zeit ist reif, die Konflikte wachsen, und diese Großvereinigung reagiert darauf mit Versen, Grooves und mächtigen Bläsersätzen. Das ergibt einen wirklich neuen Wind.
Eine politische Musik des Jetzt entsteht so – provokant, eingängig, subversiv und treibend. Dazu gibt es ein beiliegendes Kampfalphabet von A bis Z, die schönen Texte zum Mitlesen und eine Musik, die das Prinzip Hoffnung stützt. Das ist eine doppelbödige Kampfansage auf unsere bequemen Gewohnheiten als Dada-, Swing-, Rock- und Jazzoffensive. Man reibt sich die Ohren und geht danach mit geschärften Sinnen durch unsere neoliberal pervertierte, kannibalische Konsumwelt.
Alles wird gut gegangen sein werden? Von wegen. Die Zukunft ist dissonant, komplex und kompliziert. Und so liefert auch die Brigade Futur III keine leichten Antworten, sondern bestenfalls Denkanstöße: „In was für einer Welt wollen wir leben? Wie sieht die Welt aus, wenn alles gut gegangen sein werden wird?“ heißt es im kleinen Kampfalphabet der Brigade. Aber wenn Bands wie diese den Soundtrack liefern, kann alles nur besser werden.
Sie jammen im Geiste mit Sun Ra, Ellington, Coltrane, Brecht, Weill und Kurt Schwitters. Die Texte sind skurril, böse, zart und sehr konkret. Sie reflektieren unsere Zeit, machen auch mal sprachlos und verlegen das Prinzip Hoffnung nicht ohne Augenzwinkern ins Futur III, in dem alles gut gegangen sein werden wird.
[...] ob der Flughafen BERBrandenburg nun fertig gebaut wird oder nicht spielt gar keine Rolle mehr. Er schenkte uns Futur 3 und eine bis dato unerhörte Musik zwischen BigBandGeschwader, Protestlied und dAdA. Die Kinder von Duke Ellington, den Mothers Of Invention und Wolf Biermann schwadronieren hier in einer Brigade.
Brigade Futur III gibt Kante sie greift an und bietet Angriffsfläche in Zeiten, wo Musiker sich meist in Nabelschau ergehen, ihre Kunst als losgelöst von gesellschaftlichen Umständen sehen, oder sich safe romantischmelancholischem Pathos hingeben. Das tut gut und macht auf. Dass ausserdem die Musik eine Ansage ist und das ganze Projekt vor allem in der Live Performance richtig aufgeht und reindrückt, macht mich glücklich.
Was ist da los? Todernste und todesalberne Weltverbesserungsmusik. Theatral und in Momenten irgendwie manipulativ berührend. Topp geschriebene zeitgenössische KopfnickerBigbandArrangements, geil performt und produziert, und sogar der Jazz kommt nicht zu kurz!
Brigade Futur III – das ist lustvoller Jazz von unten, für den jedwede Affinität für das große „J“ obsolet ist.